Schöne Plätze und Promenaden sind entscheidend für die lebendige Stadt

Schöne Plätze und Promenaden sind entscheidend für die lebendige Stadt

Zielstrebig geht Regula Lüscher auf die kleine Gruppe zu. Sie trifft sich an diesem Oktobertag auf dem Washingtonplatz am Hauptbahnhof mit einigen Investoren der Europacity für dieses Magazin. Es ist schon Herbst, trotzdem scheint die Sonne noch kräftig und der Himmel ist nahezu blau, sodass einige Touristen auf den Terrassen der Cafés sitzen. So hatte sich Berlin das Entree der Hauptstadt gewünscht, wenn die Reisenden aus den Zügen steigen und beim Blick auf das Regierungsviertel einen ersten Eindruck von der Hauptstadt erhaschen.

Regula Lüscher war die bisherige Senatsbaudirektorin und als Staatssekretärin in der Stadtentwicklungsverwaltung verantwortlich für die Europacity. Nach 14 erfolgreichen Jahren ist sie auf eigenen Wunsch seit dem 1. August außer Dienst. So richtig loslassen kann sie aber noch nicht. Wenn sie mit den Investoren über gläserne Skulpturen wie den cube berlin auf dem Washingtonplatz von CA Immo spricht, formen ihre Hände Fassaden nach und umreißen imaginäre Gebäude, um ihre Worte zu unterstreichen. Einmal Architektin, immer Architektin. Ihre große Leidenschaft ist fast greifbar.

„Es ist aber auch schön, in Berlin aufzuwachen und hier einfach Urlaub zu machen“, sagt Regula Lüscher. Vielleicht wie die Besucher, die ihre Rollkoffer über den Washingtonplatz ziehen? „Der Platz ist ein sehr offener Platz, der sich gegenüber dem Hauptbahnhof und dem cube berlin zurücknimmt. Mit seinen Granitplatten ist er sehr berlinisch. Wichtig finde ich die Außenterrassen der Restaurants und Cafés, damit hier ein Ort zum Wohlfühlen entsteht.“

Regula Lüscher geht durch den Hauptbahnhof, der zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eröffnet wurde – ein knappes Jahr vor ihrem Amtsantritt als Senatsbaudirektorin. Damals stand der Bahnhof noch einsam und verloren in der Europacity, umgeben von Niemandsland, über das der Wind den Sand fegte. Es war ein Erbe der Trennung von Ost und West und zugleich eine Wunde, die erst noch heilen musste. Lüscher moderierte dann den internationalen Wettbewerb zur Europacity, den 2008 das Kölner Architekturbüro ASTOC mit seinem Masterplan gewann. Baustein für Baustein wurde seitdem aneinandergefügt. Fertig ist die Europacity längst nicht.

 

Sie führt ihre kleine Gruppe in die Heidestraße. Vorbei an den Hochhäusern Tour Total und dem 50Hertz-Tower, dessen besondere Architektur mit diagonalen Stahlstützen, die symbolhaft eine Sinuskurve beschreiben, ganz gut zu dem Stromnetzbetreiber passt und ebenso wie der Total-Turm Lüscher begeistert.

Für die Heidestraße hatte die ehemalige oberste Planerin der Stadt die Vision eines lebendigen Stadt-Boulevards: Touristen und Anwohner sollen auf den überbreiten Gehwegen flanieren und in den Geschäften shoppen. „Das wird nicht an jeder Stelle gelingen. Die Heidestraße bleibt eine Durchgangsstraße. Die Menschen werden sich also entweder auf der einen oder der anderen Straßenseite aufhalten“, sagt sie heute. Und ist überzeugt, dass geringere Geschwindigkeiten und die Elektromobilität einen positiven Effekt für die Heidestraße hätten. „Erst wenn alle Häuser fertig sind, in den Erdgeschossen die Geschäfte öffnen und später die Kronen der drei Baumreihen ein grünes Dach bilden, entsteht ein Boulevard. QH Core ist ein gelungenes Beispiel, das Gebäude macht schon jetzt aus der Straße einen Boulevard.“

Regula Lüscher sieht die lange Heidestraße entlang – sie nimmt die neuen Häuser genauer unter die Lupe, spricht über die Wasserseite am Kanal und die zur Bahntrasse ansteigenden Gebäudehöhen. In diesem Moment ist Regula Lüscher augenscheinlich wieder ganz Senatsbaudirektorin – sie bewertet die Architektur, sie lobt dieses oder jenes Gebäude, betont die Wichtigkeit einer gut durchdachten Mischung, und kritisiert die mancherorts kleinteilige Pseudo-Parzellierung, die es so auf dem einstigen Bahngelände nie gegeben hat. Nicht in jeder Frage könne man sich aber gegenüber Investoren durchsetzen, sagt sie in der kleinen Runde.

 

Unverzichtbar sind für Regula Lüscher nicht nur guter Städtebau und großstädtische Architektur in der Europacity, sondern auch die Gestaltung von Wegen, Plätzen und Grünanlagen für die Menschen. Man spürt: Das ist ihr eine Herzensangelegenheit. „Der öffentliche Raum ist die Grundlage und für das Funktionieren und die Lebendigkeit der Stadt entscheidend“, betont sie. Deshalb geht sie am QH Core um die Ecke ins Quartier Heidestrasse – und steht dort auf dem zentralen dreieckigen Platz. Aus dem Boden schießen Fontänen der Brunnenanlage in die Höhe. „Ist das schön“, sagt Lüscher, obwohl einige Nachbargebäude noch von Bauzäunen umstellt sind. „Allein der Brunnen macht viel aus, und das Plätschern überdeckt die Straßengeräusche. Das wird ein schöner städtischer Raum mit vielen Sitzgelegenheiten, Geschäften und Cafés. Nicht nur mittags werden sich hier Geschäftsleute und Menschen treffen, die in den umliegenden Büros arbeiten.“

Ein Beispiel dafür ist QH Track, ein 550 Meter langer Gebäuderiegel im Quartier Heidestrasse der Taurecon Real Estate Consulting GmbH entlang der Bahntrasse zum Hauptbahnhof. Das weltweit drittgrößte börsennotierte Softwareunternehmen SAP hat hier bereits rund 37.000 Quadratmeter Bürofläche angemietet. Lüscher versucht, den langen Bau aus der bestmöglichen Perspektive zu betrachten, und sagt: „Das ist die großstädtische Seite der Europacity und schirmt die Wohngebäude vom Zugverkehr ab. Die höheren und niedrigeren Gebäude wechseln sich gut ab und rhythmisieren diesen langen Rücken. Ich finde es gut, dass hier keine Wolkenkratzer entstanden sind. An manchen Punkten etwa in der Heidestraße hätten es aber schon ein oder zwei Geschosse mehr sein können.“ Das sei vor zehn Jahren aber politisch nicht durchsetzbar gewesen, sagt sie selbstkritisch.

Östliche Seite der Europacity: Hier wird überwiegend gewohnt. Etwa in der von der Adler Group errichteten Wasserstadt wegen der schönen und ruhigen Lage am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Regula Lüscher zieht es direkt zum Wasser, denn sie ist passionierte Seglerin und hat auch schon an internationalen Meisterschaften teilgenommen. Sie freut sich über die breite Uferpromenade, die künftig die Invalidenstraße mit dem Park am Nordhafen verbindet und auf vielen Abschnitten schon nach den Plänen von Relais Landschaftsarchitekten fertiggestellt ist. Lüscher promeniert ein wenig und steht schließlich auf dem Otto-Weidt-Platz. Sie betrachtet die goldglänzende Brücke, die zum anderen Ufer nach Mitte führt, aber noch nicht freigegeben ist. „Auf die Brücke freue ich mich wirklich. Sie ist sehr schön geworden und etwas Einzigartiges. Sehen Sie nur, wie die Goldfarbe das Licht reflektiert.“

 

Der Otto-Weidt-Platz wird derzeit noch angelegt. Er ist 100 Meter lang und 40 Meter breit und zählt damit zu den größten Plätzen in der Europacity. Hier entsteht ein sehr urbaner Raum, sowohl für die Anwohner, wie auch für die Touristen – mit vielen Geschäften, Cafés und Restaurants. Das wird ein Ort sein, an dem man sich gern trifft und zusammenkommt.

Am Kunst-Campus hinter dem Hamburger Bahnhof angekommen, begrüßt Lüscher den Gastronomen Reinhard Bär in seinem gleichnamigen Restaurant. Sie kennen sich noch aus der Zeit, als Lüscher am Köllnischen Park gearbeitet und der Wirt sein Restaurant „Chefetage“ in der Inselstraße betrieben hat. Lüscher erinnert sich gern daran, so wie an ihre Zeit als Senatsbaudirektorin.

Die liegt nun schon ein paar Monate zurück. In dieser Zeit hatte sie einige Angebote, wieder in eine Baubehörde einzusteigen. Regula Lüscher lehnte dankend ab. „Ich habe lange genug in Verwaltungen und Behörden gearbeitet. Das sollen jetzt jüngere Leute machen, sie haben auch jüngere Netzwerke“, sagt sie und gibt damit den Staffelstab symbolisch an die nächste Generation weiter. Auch organisatorisch musste sie trotz doppelter Staatsbürgerschaft einiges regeln, um von Berlin wieder in die Schweiz nach Zürich überzusiedeln. Nach intensiven Jahren in Berlin wird eine „Arbeitsreise“ Regula Lüscher bald nach Dänemark führen. „Ich fahre zu einem Kunstprofessor und werde mich wieder der Malerei widmen“, verrät sie. Und Berlin? „Berlin bleibt immer meine zweite Heimat.“ Vielleicht begrüßen wir sie schon bald zu einer Ausstellung in der Europacity.

November 2023 | Magazin #11

Die neue Ausgabe ist da

Nachdem in der letzten Ausgabe das Rätsel um die Möhre und Hängematte gelöst wurde, widmen wir uns in unserem neuen Magazin #11 den vielfältigen Facetten des täglich lebendiger werdenden Quartiers. Denn nun, wo die Fertigstellung der Europacity langsam näher rückt, fügen sich die prosperierenden Unternehmensstandorte, die aufwändige Freiraumgestaltung und die entspannte Atmosphäre in den Wohnstraßen zu einem urbanen Erlebnis für Weiterlesen

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