Im Gespräch mit Regula Lüscher – Urbanität und Identität
Die aus der Schweiz stammende Architektin und Stadtplanerin Regula Lüscher ist seit 2007 Staatssekretärin und Senatsbaudirektorin in Berlin. Sie trat ihr Amt an, als die ersten Planungen für die Europacity Gestalt annahmen. Die Entwicklung dieses Quartiers ist eine der wichtigsten und die derzeit größte planerische Aufgabe auch für das Land Berlin.
Frau Lüscher, hat das Gebiet der künftigen Europacity vor Ihrem inneren Auge schon Gestalt angenommen?
Ja, das ist in der Tat so. Wir sind ja schon seit Jahren mit der Planung und Steuerung der öffentlichen Projekte befasst, also mit der Heidestraße, dem Stadtplatz und den Uferpromenaden. Dazu kommt unsere Beteiligung am Masterplan, den Bebauungsplänen und den Wettbewerbsverfahren. Ich denke, wir konnten hier vieles einbringen, um ein Quartier zu schaffen, das im besten Sinne urban und belebt sein wird.
Können Sie Beispiele nennen?
Nehmen Sie den Masterplan: Hier haben wir absichtlich keine einheitliche Gestaltung für das ganze Quartier angestrebt. Jedes der sechs Teilquartiere soll eine eigene Identität haben. Und einzelne Bauten setzen hier wiederum besondere Akzente. Zu sehen ist das bereits im Teilbereich am Hauptbahnhof, der an städtebaulich markanter Stelle von Türmen geprägt ist. Der Tour Total war der erste Baustein, der ein hohes Qualitätsniveau vorgegeben hat, auch das 50Hertz-Gebäude, das mir besonders gefällt, hat eine starke Wirkung.
Es gab im Masterplan aber auch ein Maß an Flexibilität, welche erlaubt, den Plan in Teilen neu anzupassen. Denn wir haben es hier ja mit einem langfristigen Entwicklungsprozess zu tun.
Die Erarbeitung des Masterplans für die Europacity gilt als neuartig und beispielgebend. Warum?
Zum einen gab es in allen Phasen des Planungsprozesses einen sehr offenen und ergebnisreichen Dialog zwischen den Bauherren, dem Bezirk und dem Land Berlin, zum anderen wurde der Masterplan vom Büro ASTOC, das den Wettbewerb für die Planung gewonnen hat, bewusst nicht als starres Regelwerk konzipiert. Es gab klare Rahmenbedingungen: Gesetzt war zum Beispiel die Planung der Heidestraße als Boulevard, der durch die Mitte des Gebiets führt. Wichtig war es auch, hohe, großzügige Erdgeschossbereiche vorzusehen, damit hier vielfältige Nutzungen möglich werden. Es gab im Masterplan aber auch ein Maß an Flexibilität, welche erlaubt, den Plan in Teilen neu anzupassen. Denn wir haben es hier ja mit einem langfristigen Entwicklungsprozess zu tun.
Wo wurden hier Anpassungen vorgenommen?
Das betraf zum Beispiel den Wohnanteil. In der frühen Phase der Planung war das Ausmaß des heutigen Wohnraummangels noch nicht abzusehen. Wir haben dann korrigiert und versucht, möglichst viele Wohnungen umzusetzen, auch mit Mietpreis- und Belegungsbindung, vor allem auf der Westseite des Gebiets.
Mit dem Baukollegium, in dem Experten über Projekte von besonderer städtebaulicher Bedeutung beraten, hatten wir einen Gestaltungsbeirat, der Prozesse dieser Art begleitet hat.
Wie war das Baukollegium konkret eingebunden?
In einigen Fällen haben Bauherren und Architekten dort ihre Projekte vorgestellt. Das Baukollegium hat daraufhin Überarbeitungsempfehlungen gestalterischer Art gegeben oder auch hinsichtlich Nutzung und Städtebau. Wir hatten auf diese Weise für alle Projekte immer eine Qualitätskontrolle: In den meisten Fällen durch das Instrument der Wettbewerbe, in anderen Fällen durch die Beteiligung des Baukollegiums.
Was bleibt jetzt noch zu tun – abgesehen von der Umsetzung der Bebauungspläne?
Ich würde sehr gerne ein Gebietsmanagement einrichten und hier auch auf die Eigentümer zugehen. Ganz wichtig sind die Erdgeschosszonen im Gebiet. Ich sage immer, sie müssen kuratiert werden. Man muss sich Gedanken machen: Welche Art von Gewerbe ist an welcher Stelle gewünscht, wie können die Nutzungen aufeinander Rücksicht nehmen, wie lässt sich ein gewisses Niveau halten? Solche Fragen sind zum Beispiel entscheidend für die Heidestraße, die, wenngleich eine Hauptverkehrsachse, einen Boulevardcharakter erhalten soll, der auch Publikum anzieht.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die zukunftsweisende Mobilität mit Fahrrädern, Elektromobilen und Orten für Carsharing. Dafür braucht man Platz, und der muss so eingerichtet werden, dass der öffentliche Raum nicht beeinträchtigt wird.
Eine Frage, die künftige Nutzer sicher interessiert: In welcher Weise wird sich die Europacity mit ihrem Umfeld verbinden? Wie hat man die Voraussetzungen dafür geschaffen?
Hier gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, zu denen ein gut durchdachtes Grün- und Wegenetz gehört. Es gibt den zentralen Stadtplatz mit der Rad- und Fußgängerbrücke und im Westen besteht eine Wegeverbindung bis zum Poststadion in Moabit. Die Fuß- und Radwegeverbindung zum Regierungsviertel gibt es ja bereits entlang des Spandauer Schifffahrtskanals. Wichtig auch für die Integration des Quartiers: Die neue von uns geplante Schule, die von den Kindern der Europacity und der angrenzenden Quartiere besucht werden wird, liegt etwas außerhalb des Areals an der Boyenstraße in östlicher Richtung. Über das Kanalufer ist das ein kurzer und sehr schöner Weg. Die Schüler aus der Europacity sind also automatisch in den gewachsenen Kiez eingebunden, aus dem auch die anderen Schüler kommen.