Jahresauftakt mit Meinungsaustausch
Abendstimmung im Rohbau: Am 28. Januar 2020 hat die Standortgemeinschaft Europacity erstmals zu einem Neujahrsempfang eingeladen. Die Gäste lernten dabei das Gebäude QH Core des Quartier Heidestrasse kennen, das in diesem Herbst fertiggestellt wird. Wo später die Apotheke am Quartiersplatz einziehen wird, kamen die Besucher zu Gesprächen zusammen, in denen es auch – aber nicht ausschließlich – um Architektur und Bauen ging. Diskussionen und Austausch brachte auch die Podiumsdiskussion zum Thema Europacity und Quartiersentwicklung, die wir hier dokumentieren.
Beginnen wir mit einer grundlegenden Frage zum Thema Städtebau: Was kann und was muss das Stadtquartier der Gegenwart leisten?
Mommsen: Nachhaltigkeit ist essenziell. Für die Landschaftsarchitektur wird als Kriterium immer wichtiger, dass wir klimafreundliche Quartiere planen, die den Menschen auch in heißen Sommern Aufenthaltsqualität bieten. Wir müssen viel Grün schaffen, in Loggien, auf Dächern und in den Freiräumen, mit Grünflächen und Bäumen. In Zeiten des Klimawandels sind Plätze, die Abkühlung schaffen, entscheidend für die Lebensqualität.
Kühne: Beim Stichwort Klima möchte ich hinzufügen: Entscheidend ist auch das soziale Klima, das an einem Standort herrscht oder erzeugt werden kann.
Paap: Quartiersentwicklungen sollten eine spezifische Identität besitzen. Das zeichnet sich bereits in der Europacity ab, wie ich finde. Wichtig ist auch, dass der öffentliche Freiraum viel Wertschätzung erfährt. Davon kann man derzeit noch nicht so viel sehen.
Forster: Ein Stadtquartier muss dafür sorgen, dass die Menschen dort gerne wohnen, dass sie sich wohlfühlen, dass Nachbarschaften entstehen. Dafür müssen wir als Planer die Voraussetzungen schaffen, dafür sind wir da.
Viele verschiedene Architekten haben die Gebäude dieses Quartiers entworfen. Frau Mommsen, Ihr Büro hat die Planung der öffentlichen Freiräume übernommen. Werden Sie Ihrem Anspruch an die klimafreundliche Stadt gerecht, in der ganzen Bedeutung, die Sie meinen?
Mommsen: Die vielen kleinen städtischen Freiräume zwischen den Architekturen zu verbinden, ist eine sehr wichtige Aufgabe für das Quartier. In einer hochverdichteten Stadt sind im Außenbereich viele Nutzungsinteressen und infrastrukturelle Erfordernisse in Einklang zu bringen oder gegeneinander abzuwägen. Ich denke, wir haben hier das Äußerste erreicht, das machbar ist. Viel davon ist allerdings zurzeit noch nicht sichtbar. Der Stadtplatz ist noch nicht gebaut, auch der Platz am Nordhafen und die Promenade müssen noch realisiert werden.
Zwei Kritikpunkte zum Projekt waren gelegentlich zu hören. Zum einen sind nicht alle davon überzeugt, dass hier eine lebendige städtische Mischung entstehen wird, zum anderen gibt es kontroverse Meinungen zur Qualität der Architektur. Wie ist Ihre Position dazu?
Freiräume sind essenziell
als Bindeglied der Architektur.
Marianne Mommsen
Kühne: Zur Frage der Mischung muss man anmerken: Die Europacity repräsentiert eine Übergangsphase. Sie wurde in einer Zeit begonnen, in der alle öffentlichen Akteure eine vollständige Privatisierung betrieben haben. Die letzten Abschnitte der Planung ausgenommen, war dies eine Phase, in der das Land Berlin keinen sozialen Wohnungsbau eingefordert hat. Damals war der Berliner Immobilienmarkt insgesamt in einer eher prekären Situation und unter diesen Umständen haben beide Seiten versucht, mit der Europacity ein Quartier zu entwickeln, das „berlinfähig“ ist, um es mal so zu sagen. Heute würden wir überlegen, ob wir nicht einen extrem hohen Anteil an gefördertem kostengünstigem Wohnungsbau unterbringen könnten.
Forster: Beim Thema „berlinfähig“ möchte ich etwas zur Architektur bemerken. Ich hätte mir gewünscht, dass die Europacity ein Berliner Quartier wird, aber sie hat mit Berlin ja eigentlich nichts zu tun. Sie sieht aus wie der Arnulfpark in München oder wie in Frankfurt-Riedberg. Jede Stadt hat so ein Quartier. Von daher sehen wir hier eine Art Verwestdeutschung von Berlin. Das hört natürlich niemand so ganz gerne. Wohlgemerkt, es gibt in der Europacity eine ganze Menge Häuser, die ich sehr, sehr gut finde. Aber es gibt eben auch diese krassen Fälle, wo ich sage, wer hat da nicht aufgepasst?
Herr Paap, Sie haben mit gmp Architekten zwei der Blöcke im Quartier Heidestrasse in der Europacity entworfen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Paap: Von außen betrachtet, und wenn man mit der ganzen Historie nicht befasst ist, kann man den Eindruck gewinnen, dass bei zwei, drei Häusern an der Heidestraße mehr Profil, mehr Tiefe, mehr spezifische Architektur wünschenswert gewesen wären. In zweiter Reihe gibt es aber wieder sehr schöne Beispiele, etwa im Wohnungsbau mit dem Block von Cramer Neumann Architekten in der Wasserstadt Mitte oder auch den KunstCampus von léonwohlhage. Das sieht beides sehr gut aus. Was aber auf den ersten Blick abschreckt, ist die Heidestraße. Das ist im Moment einfach noch eine unwirtliche Straße. Durch das Monitoring über alle Entwurfsstufen hinweg, das im städtebaulichen Vertrag des Senats festgeschrieben ist, hat aber die Architektur grundsätzlich viel Aufmerksamkeit erfahren – und damit die Artikulation und Materialität, die Eingangsbereiche, also alles, was man sich über den Städtebau hinaus wünscht.
Kühne: Lassen Sie mich zur Heidestraße sagen: Ich glaube, sie ist das Beste, was bisher in der Europacity realisiert worden ist. Ich kann nur empfehlen, sie einmal mit der Heidestraße von vorher zu vergleichen. Im Moment vermittelt sie ein authentisches Bild davon, wie eine Gründerzeitstraße aussah, bevor sie fertig gebaut war. Man hat vor dem Ersten Weltkrieg große Straßen gebaut, man hat qualitätvolle Bürgersteige, es gibt eine ordentliche Beleuchtung, es gibt Bäume. Und es wird links und rechts Läden geben. Im Moment muss man sich noch mit einer Tankstelle als Späti begnügen, aber auch das ist ein Gewinn.
Die S-Bahn-Station an der Perleberger Brücke muss gebaut werden, damit wir einen lebendigen Nordhafenplatz bekommen
Hans-Joachim Paap
Sprechen wir über Gewerbe, da Sie dies gerade erwähnen: Gerade damit ist ja vor allem die Hoffnung auf eine gute Durchmischung des Quartiers verbunden, auf städtisches Leben.
Forster: Natürlich ist es vor allem zu Anfang nicht einfach, Gewerbe in die Erdgeschosse zu bringen. Aber wenn erstmal einige Tausend Menschen in den Häusern wohnen, werden
sich an der Heidestraße automatisch Läden ansiedeln. Ich frage mich aber, warum in den Erdgeschossen der Quartiere kein städtisches Wohnen im Hochparterre geplant wird. Das ist doch ein ganz normales städtisches Element, das auch Lebendigkeit erzeugt.
Paap: Mit dem Bürogebäude QH Track im Quartier Heidestrasse wird es ja einen ganzen Bauteil mit Gewerbe geben. Dazu kommt das Wohnen in den oberen Etagen des Quartiers, Gewerbe zur Heidestraße und zum Beispiel in den Erdgeschossen der von uns gebauten Blöcke. Das ist schon eine ziemlich durchmischte Angelegenheit. Ich fürchte aber, dass am künftigen Nordhafenplatz wegen der fehlenden Anbindung weniger Leben sein wird, wenn hier nicht die wichtige S-Bahnstation an der Perleberger Brücke entsteht.
Kühne: Wie in anderen Quartieren auch gehören zur Mischung in der Europacity nicht nur die Menschen, die hier leben, sondern auch das Umfeld. Hier gibt es große Potenziale, was die Vernetzung mit der Nachbarschaft und die Entwicklungspotenziale im Umfeld betrifft. Denken Sie an Bayer Schering im Norden, und im Osten an das Bundeswehrkrankenhaus, das ausgebaut werden soll. Die Tourismusförderer gehen davon aus, dass man in Zukunft die neuen Orte entlang des Kanals besuchen will. Darum haben sie ja zur Finanzierung der Uferpromenade 20 Mio. Euro beigetragen. Die Europacity ist extrem zentral und sehr vitalisierungsfähig.