„Die Architektur ist besser als ihr Ruf!“ von Ulf Meier

„Die Architektur ist besser als ihr Ruf!“ von Ulf Meier

Cube Europacity

Die Europacity wird für Millionen von Gästen der erste Eindruck von Berlin sein und ist deshalb eine wichtige Visitenkarte“, so die Planer vom Kölner Architekturbüro ASTOC. Sie waren aus dem Wettbewerb für die Urbanisierung des ehemaligen Güterbahnhof-Areals als Sieger hervorgegangen und hatten mit der Hafen-City in Hamburg eine prominente Referenz vorzuweisen. Ihr Ziel war es nicht, eine „cleane Musterstadt“, so ASTOC-Gründer Markus Neppl, sondern ein lebendiges Viertel zu entwerfen. Die Europacity sollte ein vollwertiger lebendiger Stadtteil werden, der Ost und West miteinander verknüpft und Berlins neue Lage im Zentrum Europas feiert. Die unterschiedlichen Architekturen, die Berlins neuesten Stadtteil prägen, sind nun erstmals zu erleben. Regula Lüscher, die als Senatsbaudirektorin politische Verantwortung für die Europacity trug, ist angetan von der architektonischen Qualität vieler Gebäude.

Das Bürohaus cube berlin auf dem südlichen Vorplatz des Hauptbahnhofs wirkt auf Lüscher „abstrakt und maßstabslos, wie eine Skulptur, an der die Geschosse kaum ablesbar sind“, wie sie es nennt. Der Solitär mit „reflektierendem Faltenkleid“ (Lüscher) neben dem Bahnhofs-Solitär ist „ein Hingucker“, sagt die Züricher Architektin, der „je nach Licht und Wetter-Situation immer neue Erscheinungen annimmt“. Dem cube berlin von CA Immo liegt ein städteplanerischer Entwurf des Architekten Oswald Matthias Ungers aus Köln zugrunde, der als Meister des Quadrats in die deutsche Nachkriegsarchitekturgeschichte eingegangen ist. Das Quartier westlich des cube berlin hat steinerne und mineralische Fassaden, vor denen der gläserne cube berlin sich besonders abhebt.

Allerdings fehlt der ehemaligen Senatsbaudirektorin „Ausstrahlung nach außen“, für sie „verhindert die Abstraktion einen Dialog“ mit dem Stadtraum. Selbst schon ein Vordach würde die klare Ansicht zerstören. Trotz der tiefen Grundrisse gibt es kein Atrium im cube berlin. Der spiegelnde Würfel des Kopenhagener Büros 3XN hat eine fotogen zerklüftete Glasfassade. Ihrer Ansicht nach können viele zeitgenössische dänische Architekten „leicht, inklusiv, demokratisch“ entwerfen. Die Fassade ist jedoch nicht nur eine formale Spielerei. Denn die gekippten Glasflächen sind nur die äußere Hülle einer doppelschaligen Fassade, die öffenbaren Fenster der inneren Schicht sorgen für ein angenehmes Raumklima auf den zehn Büroetagen.

Hochhaus Europaplatz Europacity

Das Bürohochhaus am Europaplatz, in dem künftig das Unternehmen KPMG sein Berliner Headquater einrichten wird, ist der höchste Turm und „point de vue“ in der Europacity. Mit Erleichterung attestiert Lüscher, dass das „Versprechen der Renderings“ in der Realität eingelöst wird. Nach oben wird die Turm-Fassade gläserner und hat eine „raffinierte Wellenbewegung“, wie Lüscher es nennt. Mit dem Tour Total und dem 50Hertz-Turm nebenan bildet das Hochhaus am Europaplatz ein Trio, einen Dreiklang an diesem Platz und Auftakt für die Europacity. Seit 2012 markiert der 70 Meter hohe Tour Total, entworfen von den Architekten Barkow Leibinger aus Berlin, die Europacity in der Ferne. Dann kam die Zentrale des Netzbetreibers 50Hertz von LOVE architecture aus Graz hinzu. Das dritte Hochhaus wird nun über dem Tunnel der S-Bahnlinie 21 von CA Immo, einem der größten Investoren in der Europacity, nach dem Entwurf von Allmann Sattler Wappner Architekten aus München errichtet. Sie lassen den Turm aus einem plastisch profilierten Sockel herauswachsen und ihn mit zunehmender Höhe glatter, transparenter und abstrakter werden. Von „nobler Eleganz“ und „angemessener Eigenständigkeit im Dreiklang der profilbildenden Hochhäuser am Standort“ spricht Lüscher bei diesem Hochpunkt.

Der Tour Total ist „leise“, so Lüscher. Die Architektur ist „subtil und fein und gibt ihr Geheimnis erst auf den zweiten Blick preis“. Als „zurückhaltender Expressionismus, der an die Moderne anbindet“, beschreibt sie den Sitz des französischen Konzerns, der eine gute Vorgabe für das Quartier Heidestrasse war. Der Sockelbau mit Metall-Lisenen variiert das Thema der diagonalen Fassaden-Schrägen. In der Schrägansicht wirkt die Fassade geschlossen, aber in der Ansicht transparent, und „fast kinetisch“, wie Lüscher bemerkt.

Das 50Hertz-Gebäude nebenan hat hingegen eine „bildhafte Gestaltung“, wie Lüscher es nennt, es ist eine „architecture parlante“, die elektrischen Strom zu einem Motiv macht. In dem Gebäude befinden sich moderne, offene Arbeitsräume fast ohne Stützen, denn das diagonale Tragwerk wurde nach außen gekehrt. Zusammen ergeben die drei Hochhäuser eine „Business-Krone“, die das südliche Ende der Heidestraße markiert, sagt die ehemalige Senatsbaudirektorin.

Weidt Park Corner Europacity

Das QH Core-Gebäude im Quartier Heidestrasse, das von der Taurecon Real Estate Consulting GmbH errichtet wird, ist ein großstädtisches Gebäude, das Wohnen, Gewerbe und Einzelhandel bietet, eine „Berliner Mischung von Lebens- und Arbeitsräumen“, formuliert Lüscher. Seine Gestaltung „hat viel Kraft“. Zur Straße hin liegt ein großer Supermarkt, auf der Rückseite landet in Zukunft die Fußgängerbrücke, die über die Gleise zur Lehrter Straße führen wird. Am benachbarten Dreiecksplatz hat QH Core eine urbane Fassade. Das „Herzstück“ des Quartiers wurde vom Büro ROBERTNEUNTM Architekten aus Berlin entworfen. Es hat Fassaden mit Lauben- und Arkadengängen aus Ziegelstein. Lüscher begeistert vor allem „die Materialwahl als Erinnerung an die industrielle Vergangenheit des Areals“. Die Helden der Berliner Baugruppen-Bewegung vom Architekturbüro ROBERTNEUNTM entwarfen den Block mit 170 Wohnungen, während nebenan nach Entwurf vom Büro EM2N-Architekten aus Zürich ein langer Riegel mit neun Gebäuden gebaut wird, darunter fünf bis zu 14-geschossigen Türmen. Deren Fassaden aus Beton- fertigteilen werden in Zukunft täglich von Tausenden Menschen gesehen werden, die in den Zügen und S-Bahnen an dem langen Haus vorbeifahren.

Das Hochhaus Weidt Park Corner (WPC) der DWI Grundbesitz wurde von einem Berliner Lokalmatador entworfen, dem für seine Museumsbauten berühmten Architekten Volker Staab. Der Turm steht am zentralen Platz der Europacity. Seine Dreiteilung in Sockel, Mittelzone und Dach ist Grundlage für eine graduelle Verfeinerung der Fassade. Mit zunehmender Höhe verringert sich die Breite der Betonfertigteile, an deren Stelle eloxierte Aluminiumrahmen treten. Zum Platz hin erzielt diese Verfeinerung ihre stärkste Wirkung vom kraftvollen Sockelgeschoss bis zur fein gegliederten Hochhausfassade. Heute ist aus Lüschers Sicht die „Eck-Ausbildung das Stärkste an dem Entwurf“. Entlang der Heidestraße wirkt das Haus wie ein „L“, vom Platz aus betrachtet aber als Turm. Die südliche Platzseite hat springende Gebäudehöhen, und das WPC ist das höchste Haus und einzige Geschäftshaus am Otto-Weidt-Platz. Zum Stadtplatz richtet es sich mit einer Scheibe aus, während der straßenbegleitende Teil die Trauflinie der angrenzenden Wohnhäuser aufgreift.

Der Firmensitz der Firma Ernst Basler + Partner AG, entworfen vom Büro Miller Maranta aus Zürich, war der erste Baustein des Kunst-Campus. Das Bürohaus liegt am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal und gefällt Lüscher wegen seiner „zeitlosen urbanen Eleganz“ und „Interpretation der Dualität von Wasser- und Platzseite“. Die „organisch geschwungene Treppe und die Qualität der Grundrisse“ lobt Lüscher ebenso wie die „Gestaltung des Erdgeschosses, das das Café zur Wasser- wie auch zur Platzseite inszeniert“. Im Rückblick auf die Jahre, in denen Lüscher Verantwortung für die Europacity trug, resümiert sie: „Die Architektur, die Hardware eines Quartiers, ist das Eine. Die Qualität eines neuen Stadtviertels hängt zu mehr als 50 Prozent von Betrieb ab“, ist sich Lüscher sicher. Baumasse allein garantiert noch keine urbane Erlebnisdichte. Denn Stadtviertel leben von sozialer Mischung, öffentlichen Räumen, Überraschungen, Widersprüchen und architektonischer Vielfalt.

 

November 2023 | Magazin #11

Die neue Ausgabe ist da

Nachdem in der letzten Ausgabe das Rätsel um die Möhre und Hängematte gelöst wurde, widmen wir uns in unserem neuen Magazin #11 den vielfältigen Facetten des täglich lebendiger werdenden Quartiers. Denn nun, wo die Fertigstellung der Europacity langsam näher rückt, fügen sich die prosperierenden Unternehmensstandorte, die aufwändige Freiraumgestaltung und die entspannte Atmosphäre in den Wohnstraßen zu einem urbanen Erlebnis für Weiterlesen

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